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VIII.3. Demokratie und Grundrechte verteidigen

Grundrechte sind grundlegende, individuelle Rechte, die im Grundgesetz garantiert werden. Sie begren-zen die Macht des Staates. Grundrechte sind vor allem als Abwehrrechte der Bürger:innen gegen den Staat zu verstehen, gelten aber auch im Verhältnis untereinander. Schon vor der Sondersituation der Coronapandemie wurden Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt, zum Beispiel durch immer neue Überwachungsmaßnahmen. Kameraüberwachung ist allgegenwärtig.

Seit Sommer 2020 ist die Polizei in NRW außerdem flächendeckend mit Schulterkameras ausgestattet. Mit der jüngsten Änderung des Ordnungsbehördengesetzes erlaubt die CDU-FDP-Koalition auch den kommunalen Ordnungsämtern den Einsatz von Bodycams. Die Kameras sind nach Schlagstöcken das zweite Polizei-Utensil, das nun auch von städtischen Beschäftigten eingesetzt werden darf. Sie werden eingeführt, obwohl Studien nahelegen, dass sie keineswegs zur Deeskalation beitragen.

Polizei und Geheimdienste verfügen darüber hinaus über gigantische Datenbanken. Die davon Betroffenen wissen zumeist nicht einmal, dass ihre Daten dort gespeichert sind. Mit der Vorratsdatenspeicherung stehen alle unter Generalverdacht, während der Staat mit Onlinedurchsuchungen heimlich in Computersysteme eindringt. Durch den Einsatz von Software zur Vorhersage zukünftiger Straftaten („Predictive Policing“) wird die Unschuldsvermutung bedroht, und die Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten kann verstärkt werden. Wer die Eingriffsbefugnisse des Staates noch mehr ausweiten will, entkernt die Grundrechte, bis von ihnen nichts mehr übrig ist. Wir wollen Grundrechte schützen und den Überwachungsstaat eindämmen.

Was tun?

  • Nicht mehr, sondern weniger Kameraüberwachung

 

  • Sogenannte Bodycams werfen nicht nur grundgesetzliche Fragen auf, sondern gefährden auch Polizist:innen und Mitarbeitende der Ordnungsämter, da die Bevölkerung ablehnend auf derartiges Auftreten reagiert. Daher wollen wir §15c des Polizeigesetzes ändern und die diesbezügliche Novellierung des Ordnungsbehördengesetzes zurücknehmen.

 

  • Verbot der Verwendung biometrischer Daten zur automatischen Erfassung und Überwachung der Bevölkerung

 

  • Speicherung persönlicher Daten bei der Polizei auf Ausnahmefälle beschränken

 

  • Verbot der Nutzung von stillen SMS, Funkzellenauswertungen und IMSI-Catchern

 

  • „Predictive Policing“ gesetzlich verbieten

 

  • Abschaffung der Rasterfahndung, Bundesinitiative gegen Vorratsdatenspeicherung

 

  • Verbot des Exports von Hard- und Software für Überwachung und/oder Zensur

VIII.3.1. Datenschutz und Privatsphäre bei Behörden

DIE LINKE NRW will mit Hilfe von Bundesratsinitiativen den Datenschutz im Meldegesetz verankern. Gerade in Zeiten, in denen wir wissen, dass Neonazis Todeslisten anlegen und ausländische Geheimdienste Exil-Oppositionelle jagen, ist ein verbesserter Datenschutz unverzichtbar. Eine beantragbare Auskunftssperre zur eigenen Person reicht nicht aus – DIE LINKE NRW möchte das derzeit im Meldegesetz verankerte Prinzip der ungebremsten Datenherausgabe umkehren. Die Daten im Melderegister müssen vor Weitergabe an Privatpersonen geschützt sein. Erst ausgehend von dieser Grundprämisse können Ausnahmen von der Regel bestimmt werden.

VII.3.2. Für eine Demokratisierung der Polizei

Immer wenn Gewalt in der Öffentlichkeit verübt wird, erklären Teile der Politik, die innere Sicherheit müsse gestärkt werden. Sie überbieten sich mit Forderungen, die Grundrechte einzuschränken und den Staat aufzurüsten. Nicht einmal vor dem im Grundgesetz verbotenen Einsatz der Bundeswehr im Innern wird zurückgeschreckt.

Die Gefahren des Rechtsterrorismus treten in solchen Debatten mehr und mehr in den Hintergrund. Dabei hat mit dem NSU eine rechte Terrorgruppe über Jahre hinweg schwerste Gewalttaten begangen. Bis heute ist die Verantwortung des Staates nicht geklärt. Seit dem Jahr 2016 hat die gemeinsame Chronik der Amadeu-Antonio-Stiftung und PRO ASYL bundesweit rund 11.000 Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte dokumentiert. Rechte Kameradschaften führen Todeslisten. Seit Jahren werden zudem hunderte Haftbefehle gegen Neonazis nicht vollstreckt, weil diese untergetaucht sind.

Wir wollen eine Polizei, die als Hilfe in besonderen Situationen wahrgenommen werden kann und die nicht Angst und Sorge in der Bevölkerung auslöst. Demokratie bedeutet Gewaltenteilung, Verantwortung und Kontrolle. Polizei übt staatliche Gewalt aus. Im Dienst tragen Polizist:innen eine besondere Verantwortung. Als Beamtete haben sie eine enge Bindung an Recht und Gesetz. Der Staat ist gehalten, die Polizei wirksam zu kontrollieren, Fehlverhalten zu ahnden und die Menschen vor Übergriffen seitens der Exekutive zu schützen. In der Öffentlichkeit wird viel über Gewalt gegen Menschen, die im Polizeidienst arbeiten, gesprochen. Gewalt durch die Polizei aber ist häufig ein Tabuthema. Nach wie vor bestehen strukturelle Defizite bei der Aufarbeitung polizeilichen Fehlverhaltens. Teilweise sehen Opfer aus Angst von einer Strafanzeige ab oder werden sogar selbst strafrechtlich verfolgt, weil die Polizei auf ihre Anzeige gegen Polizist:innen zur Einschüchterung mit Gegenanzeigen reagiert.

Ermittlungen gegen die Polizei müssen unabhängig durchgeführt werden. Es darf nicht sein, dass sie weiter von Kolleg:innen bearbeitet werden. Für Ermittlungsverfahren gegen die Polizei braucht es polizeiexterne Stellen mit strafprozessualen Befugnissen, die der Sachleitung eines Sonderdezernats der Staatsanwaltschaft für Delikte von Vollzugsbeamt:innen unterstehen. Wir wollen eine:n beim Landtag angesiedelte:n Polizeibeauftragte:n einsetzen, als Monitoringstelle und darüber hinaus als Anlauf- und Vermittlungsstelle für Betroffene.

Eine hinreichende Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt:innen fehlt in NRW. Dadurch können einige von Polizist:innen begangene Straftaten nicht aufgeklärt werden, weil keine Identifikation möglich ist. Polizeibeamt:innen müssen grundsätzlich namentlich gekennzeichnet sein.

Sogenannte nicht tödliche Waffen senken die Hemmschwelle für den Einsatz von Gewalt. Eingeführt als Distanzwaffe, damit nicht zur Schusswaffe gegriffen werden muss, wird Pfefferspray weitgehend hemmungslos eingesetzt. Dabei sind die gesundheitlichen Risiken dieses chemischen Kampfstoffes enorm, es kann zu lebensbedrohlichen und mitunter tödlichen körperlichen Reaktionen kommen. Die aus den USA übernommenen elektrischen Taser gehören in den fünf größten Polizeibehörden Nordrhein-Westfalens seit Kurzem zur Grundausstattung. In anderen Kommunen werden sie getestet. Seit dem Jahr 2000 wurden in den USA mehr als 1200 Menschen durch Polizeitaser getötet. DIE LINKE lehnt die Einführung von Tasern in das Waffenarsenal der Polizei in NRW ab.

Der Staat darf Rechtsbrüche nicht fördern. Daher fordern wir entschiedene Maßnahmen gegen die immer wieder dokumentierte polizeiliche Praxis, zum Beispiel auf Demonstrationen Straftaten durch Agents Provocateurs zu provozieren, um sie sodann verfolgen zu können.

Was tun?

  • Ermittlungen wegen polizeilichen Fehlverhaltens unabhängig durchführen

 

  • Schaffung einer oder eines Polizeibeauftragten als Monitoringstelle beim Landtag

 

  • Einbeziehung von Bürgerrechtsorganisationen in die Polizeiausbildung

 

  • Einführung einer namentlichen Kennzeichnung für Polizeibeamt:innen

 

  • Verbot des Einsatzes von Pfefferspray durch die Polizei

 

  • Modellversuche zur Einführung von Tasern in den Polizeidienst beenden

 

  • Verbot des Einsatzes von Agents Provocateurs sowie von V-Leuten

 

  • Beendigung diskriminierender polizeilicher Maßnahmen (z. B. „Racial Profiling“)

 

  • Wasserwerfer abschaffen, denn ihr Einsatz verursacht regelmäßig schwere Verletzungen

 

  • Bekämpfung des Rechtsextremismus in Gesellschaft und Polizei als Thema der Polizeiausbildung verbindlich festschreiben

 

  • Kein Einsatz der Bundeswehr im Innern, keine gemeinsamen Übungen mit der Polizei

 

  • Stärkung der schulischen und außerschulischen Demokratieerziehung

 

  • Ausbau von Programmen zur Gewaltprävention

 

  • Polizei und Justiz für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sensibilisieren

 

  • Rechte Straftaten konsequent aufklären

VIII.3.3. Für ein demokratisches Versammlungsrecht

DIE LINKE NRW steht zu Artikel 8 des Grundgesetzes: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Das neue Versammlungsgesetz NRW der von CDU und FDP getragenen Landesregierung ist dagegen ein Anschlag auf die Versammlungsfreiheit und wird von der LINKEN NRW entschieden bekämpft.

NRW braucht ein modernes und freiheitliches Versammlungsgesetz. Wer wegen seines politischen Engagements private oder berufliche Nachteile befürchten muss, wird seine Rechte nicht unbefangen wahrnehmen können. Deshalb dürfen Anmelder:innen von Versammlungen nicht gezwungen werden, die persönlichen Daten der Ordner:innen an die Polizei zu übermitteln.

Auch wollen wir die anonyme Teilnahme an Versammlungen ermöglichen. Das sogenannte Vermummungsverbot schränkt die Versammlungsfreiheit ein. Es ist zu unbestimmt und dient nicht selten zur Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen gegen friedliche Versammlungen. Auch Teilnehmende, die zum Beispiel ihr Gesicht verdecken, um sich vor fotografierenden Nazis zu schützen, dürfen nicht kriminalisiert werden. Daher wollen wir das sogenannte Vermummungsverbot abschaffen.

Darüber hinaus darf einheitliche Kleidung auf Versammlungen, wie sie u. a. in der Klimagerechtigkeitsbewegung als Teil des Meinungsausdrucks getragen wird, nicht kriminalisiert werden, solange es sich nicht tatsächlich um militärisch oder paramilitärisch anmutende Uniformen oder Formationsmarsch handelt.

Für uns gilt: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist für eine lebendige Demokratie konstitutiv. DIE LINKE NRW streitet daher für ein Versammlungsfreiheitsgesetz auf der Höhe der Zeit, das die Rechte der Demonstrierenden stärkt.

Was tun?

  • Das Polizeiaufgabengesetz reformieren

 

  • Ein Deeskalationsgebot für die Polizei gesetzlich festlegen

 

  • Voraussetzungslose Übersichtsaufnahmen von Versammlungen untersagen

 

  • Verdeckte Ton- und Videoaufnahmen für unzulässig erklären

 

  • Die voraussetzungslose Errichtung von Kontrollstellen auf Versammlungen unterbinden

 

  • Friedliche Sitzblockaden als Form der Meinungsäußerung achten und nicht strafrechtlich verfolgen

 

  • Polizeikräfte (auch in Zivil) verpflichten, sich zu erkennen zu geben, wenn sie auf Versammlungen anwesend sind

 

  • Behörden verpflichten, Veranstalter:innen ein Kooperationsgespräch auf Augenhöhe anzubieten, um rechtzeitig Gefahrenlagen zu erörtern und die ungestörte Durchführung der Versammlung sicherzustellen. Die Kooperationsgespräche sollen dazu dienen, die Demonstrierenden zu unterstützen und nicht zu gängeln.

 

  • Versammlungen auf öffentlichen Verkehrsflächen ohne behördliche Erlaubnisse ermöglichen

 

  • Versammlungsrecht auch auf allgemein zugänglichen Verkehrsflächen gewähren, die in Privateigentum stehen (z. B. Flughäfen, Einkaufszentren)

 

  • Videoüberwachung von Demonstrationen durch die Polizei beenden

 

  • Die namentliche Erfassung von Ordner:innen auf Demonstrationen und Versammlungen unterlassen

 

  • Das Vermummungsverbot abschaffen

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