II.5. Systemwechsel bei Gesundheit und Pflege
Die Coronakrise hat allen vor Augen geführt, dass das Gesundheitssystem falsch organisiert ist: Zusätzlich eingerichtete Intensivbetten können vielerorts nicht betrieben werden, weil es nicht genügend Personal gibt. Es fehlt an Vorhaltekapazitäten zur Krankenhausversorgung ebenso wie an Schutzkleidung. Das führt zu einer massiven Unterversorgung und verdeutlicht drastisch den schon lange bestehenden Pflegenotstand
Doch trotz dieses Mangels hält die Landesregierung an der Schließung und Zentralisierung von Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen fest. Die Coronapandemie verschärft nochmals die finanzielle Situation der bereits seit langem unterfinanzierten Krankenhäuser. Damit muss Schluss sein! Wir brauchen eine Krankenhausplanung, die sich an wirklichen Pflegebedarfen ausrichtet und Reserven für Notfälle und Pandemien vorhält. Wir alle sind potenziell Betroffene und Menschen mit Pflegebedarf und brauchen einen Systemwechsel in der Gesundheitsversorgung: Gesundheit ist keine Ware, sondern muss Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein.
Um die Finanzierung guter Krankenhäuser und eines guten Gesundheitswesens gerecht zu ermöglichen, setzen wir uns auf Bundesebene dafür ein, dass die Fallpauschalen (DRGs) vollständig und nicht nur in der Pflege abgeschafft werden, und die gesetzliche Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung für alle Einkommensarten umgebaut wird.
II.5.1. Gesunde Krankenhausplanung und -finanzierung
Nordrhein-Westfalen hat noch etwa 340 Krankenhäuser. Sie gehören zu denen, die am schlechtesten durch ihre Landesregierung finanziert werden. Nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft liegt der Investitionsstau der Krankenhäuser in NRW bei rund 12,5 Milliarden Euro. Zusätzlich machen die Krankenhäuser in der Coronapandemie durch Belegungsrückgänge und Mehraufwendungen beim Personal und für Schutzkleidung Verluste. Allein im Januar 2021 mussten die Kliniken ein Einnahmedefizit von mehr als 370 Millionen Euro hinnehmen.
Um dennoch notwendige Investitionen in moderne Infrastruktur finanzieren zu können, wird nach dem Motto gehandelt: Wir finanzieren Baustellen mit Personalstellen. Von den insgesamt 300.000 Beschäftigten in den Kliniken in NRW ist dabei insbesondere die Pflege durch Personalabbau, Arbeitsverdichtung und Stress betroffen. Die Ausgliederung von Personal aus den Krankenhausunternehmen in sogenannte Servicegesellschaften trifft vor allem die Bereiche außerhalb der ärztlichen und pflegerischen Versorgung. Meist sollen auf diesem Weg durch Tarifflucht Kosten gesenkt werden. Die prekäre finanzielle Situation hat auch Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung der Kranken. Die wachsende Zahl der Hygienemängel und ein eklatanter Anstieg krankenhausbedingter Infektionen enden insbesondere für ältere Menschen häufig tödlich.
War es bis 2007 noch so, dass im Landesparlament darüber entschieden wurde, wie viel Geld welches Krankenhaus für welche Investition bekam, schaffte die CDU/FDP-Landesregierung die bedarfsorientierte Finanzierung einzelner Förderanträge ab. Mit der Einführung einer kompletten Pauschalfinanzierung sollten alle Krankenhäuser etwas für ihre Investitionen erhalten. Zugleich wurden die Kommunen und Kreise mit einer Erhöhung ihres Anteils an der Krankenhausförderung von zwanzig Prozent auf vierzig Prozent erheblich stärker belastet. Im Parlament wird jetzt nur noch über die Höhe der gesamten Fördersummen für alle Krankenhäuser entschieden, aber nicht mehr darüber, wie sie verteilt und wofür sie ausgegeben werden sollen. Damit hat sich das Landesparlament in der Krankenhausplanung und -finanzierung selbst entmachtet. Die schwarz-gelbe Regierung wollte so Verteilungsgerechtigkeit herstellen, da zuvor längst nicht alle Förderanträge bewilligt wurden. Jetzt ist es zwar so, dass alle etwas erhalten, ob sie einen Förderbedarf haben oder nicht, aber auf jeden Fall ist es für alle erforderlichen Investitionen deutlich zu wenig. Lange Zeit umfasste die Finanzierung der Investitionskosten für die ca. 340 Krankenhäuser in NRW lediglich 500 Millionen Euro. Im Haushalt 2021stehen seitdem für alle Krankenhäuser in NRW, ohne die Universitätskliniken, ca. 766 Millionen Euro als Grundfinanzierung zur Verfügung. Die Krankenhausgesellschaft NRW geht hingegen von einem jährlichen Bedarf von mindestens 1,5 Milliarden Euro für dringend erforderliche bauliche Maßnahmen sowie für die sachliche Ausstattung der Krankenhäuser in NRW aus. Gegenwärtig hat sich durch zusätzliche Bundesmittel für Maßnahmen der Umstrukturierung und Digitalisierung (Strukturfonds und Krankenhauszukunftsfonds) im Zusammenhang mit der Coronakrise das Budget um 1,05 Milliarden Euro auf insgesamt 1,772 Milliarden Euro erhöht. Die LINKE setzt sich dafür ein, die nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehenden Mittel als Grundfinanzierung durch den Landeshaushalt zu verstetigen.
Im März 2021 hat der Landtag ein neues „Krankenhausgestaltungsgesetz“ verabschiedet, das die Krankenhausplanung im Land in Zukunft nach neuen Kriterien ausrichten soll. Welche Kriterien das sind, blieb jedoch unklar. DIE LINKE unterstützt die Forderungen der Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!“: Krankenhäuser sollen wohnortnah und bedarfsorientiert für alle in NRW geplant werden. Notwendig ist eine intensive Analyse und ausreichend Zeit, um einen neuen Krankenhausplan NRW zu erstellen. Die Gesundheitsversorgung muss sich an den Pflegebedarfen und an guter Qualität orientieren. Alle erforderlichen Investitionskosten müssen durch das Land NRW finanziert und ein Sonderprogramm zur Behebung des Investitionsstaus von aktuell über 12,5 Milliarden Euro bis 2024 aufgelegt werden. Das ist gesetzlich geregelte Aufgabe des Landes NRW.
Wir brauchen gute Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in den Krankenhäusern: mehr Personal und eine gesetzliche Personalbemessung, die eine gute Versorgung sicherstellt. Das Gesundheitswesen muss am Gemeinwohl orientiert sein – ohne Profite! Die Landesregierung soll sich für eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Fallpauschalen und dem Verbot von Profiten einsetzen.
Was tun?
Krankenhäuser müssen wohnortnah und bedarfsorientiert geplant werden
Ausreichende Kapazitäten für Notfälle wie Epidemien, Seuchen, Großunfälle oder Naturkatastrophen vorhalten
Die Vorgaben zu Infektionsschutz und Krankenhaushygiene durch das Gesundheitsamt durchsetzen und kontrollieren
Krankenhäuser regional zusammenarbeiten lassen
Krankenhausfinanzierung des Landes auf mindestens 1,5 Milliarden Euro jährlich erhöhen
Darüber hinaus setzt sich die LINKE dafür ein, die aktuelle durch Bundesmittel erreichte Höhe von ca. 1,772 Milliarden Euro durch Landesmittel nachhaltig zu sichern.
Baupauschalen wieder durch antragsbezogene Einzelförderungen ersetzen
Den Anteil der Kommunen für die Krankenhausfinanzierung auf zwanzig Prozent zurückführen
Den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für alle in einem Krankenhaus Beschäftigten anwenden
Verbindliche gesetzliche Regelungen für ausreichend Personal im Krankenhaus festlegen
Kommunale und frei-gemeinnützige Krankenhäuser erhalten, statt weiterer profitorientierter privater Klinikketten
Private Krankenhäuser in die öffentliche Hand rücküberführen
Ausgelagerte Dienste (Reinigung, Küche, Labor) zurück in die öffentlichen Kliniken geben
II.5.2. Das Gesundheitswesen in NRW demokratisch und transparent machen
Für NRW wollen wir eine Gesundheitspolitik, die politische Verantwortung und demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung verbindet. Wir wollen dafür sorgen, dass krank machende Lebens- und Umweltbedingungen beseitigt werden. Eine umfassende Gesundheitsberichterstattung soll helfen, regionale und geschlechtsspezifische Gesundheitsziele in einem Landesgesundheitsplan zu entwickeln und umzusetzen. Die Gesundheitspolitik und die Planung des Landes mit den Kommunen soll dafür sorgen, dass die Menschen wohnortnah erhalten, was sie brauchen. Das Land NRW sollte sich dieser Verantwortung stellen.
Was tun?
Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand organisieren
Einen Landesgesundheitsplan mit konkret überprüfbaren Zielen aufstellen
Umfassende und barrierefreie Gesundheitsversorgung für alle Menschen bereitstellen
Für die Versicherten kostenfreie Präventions- und Rehabilitationsangebote bieten
Anti-Korruptionsbeauftragte im Gesundheitswesen einsetzen
II.5.4. Die Bevölkerung in allen Regionen gut versorgen
Wer auf dem Land oder in benachteiligten Stadtteilen lebt, kann die Unterversorgung sehen: Es gibt immer weniger Arztpraxen und Apotheken. Eine medizinische Grundversorgung nah am Wohnort ist vielerorts nicht mehr vorhanden. Das wollen wir ändern.
Wir wollen kommunale Versorgungszentren oder Polikliniken ermöglichen. Ergänzt werden können sie beispielsweise durch das Doc-Mobil, bei dem das medizinische Personal in Kleinbussen unterwegs ist, oder speziell geschulte Gesundheitsfachkräfte, die Hausbesuche machen (VERAH). Ein öffentlich gefördertes Fachkräfte-Programm (AGnES) kann durch Übernahme nichtärztlicher Tätigkeiten Arztpraxen entlasten. Apotheken können niedrigschwellige Angebote der Gesundheitsberatung und Prävention übernehmen.
Was tun?
Kommunale Versorgungszentren bzw. Polikliniken einrichten
Mobile Arztpraxen und vernetzte Filialpraxen einführen
Bessere Kooperation zwischen Krankenhäusern und Arztpraxen ermöglichen
Unterstützung für Hausarztpraxen
Speziell geschulte Fachkräfte einsetzen
Barrierefreie Shuttle-Services zu Arztpraxen einführen
Wohnortnahe Apothekenversorgung sicherstellen und finanzieren
II.5.4. Selbstorganisation und Rechte von Patient:innen stärken
Neben dem Ausbau des klassischen öffentlichen Gesundheitsdienstes setzen wir uns für die Stärkung der Selbstorganisation chronisch erkrankter Menschen und die Unterstützung ihrer Organisationen ein. Die Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten von Betroffenen müssen weiter gestärkt werden. Wir wenden uns gegen die noch immer vorhandene Ausgrenzung von Erkrankten (wie z. B. im Bereich HIV/AIDS) und wollen eine Landespolitik, die Vorurteile abbaut und nicht schürt.
Was tun?
Unabhängige gemeinnützige Organisationen wie die Krebs- und AIDS-Hilfen besser fördern
Unabhängige Beratungsstellen für Frauen, Migrant:innen und LGBTTI fördern
Die Selbsthilfe im Gesundheitswesen finanziell und strukturell stärken
Landespatientenbeauftragte demokratisch stärken und finanziell besser ausstatten
Eine unabhängige Patient:innenberatung in NRW aufbauen
Das Land soll sich dafür einsetzen, dass Rezepte für Therapieangebote wie Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie leichter und schneller zu bekommen sind.
II.5.5. Psychische Erkrankungen besser behandeln
Bei immer mehr Erkrankungen handelt es sich um psychische oder psychosomatische Krankheiten, bedingt oder mitbedingt durch Stress, Mobbing, Arbeitsverdichtung und Erwerbslosigkeit. Coronasituation und Hochwasserkatastrophe haben noch weiter dazu beigetragen. Das zeigt sich deutlich in den ständig steigenden Zahlen von Depressions- und Burn-out-Erkrankten. In NRW fehlen hierfür vielerorts psychiatrische, psychologische und psychotherapeutische Hilfen. Die Durchschnittswartezeit auf einen Therapieplatz beträgt mittlerweile durchschnittlich 9 Monate. Außerdem nehmen viele Therapeuten nur Privatpatient:innen auf. Psychische Erkrankungen sind in der Gesellschaft immer noch ein großes Tabuthema, was die Situation der Erkrankten meist verschlimmert. In NRW fehlen hierfür vielerorts psychologische und psychotherapeutische Hilfen.
Ein gutes ambulantes Angebot von gemeindepsychiatrischen Einrichtungen wie zum Beispiel Tagesstätten und Kontaktstellen, möglichst in öffentlicher Trägerschaft, hilft Rückfälle und Krankenhausaufenthalte zu vermeiden und stabilisiert die Erkrankten. Eine verbindliche und gute Personalausstattung ist im psychiatrischen Bereich besonders wichtig. Psychiatrie am Fließband vernachlässigt den therapeutischen Ansatz und kann die persönliche Lage der zu behandelnden Menschen oft nicht angemessen berücksichtigen.
Was tun?
Eine stärker verzahnte psychiatrische und psychotherapeutische Versorgungsstruktur ausbauen
Ein unabhängiges psychosoziales Beratungssystem auf kommunaler Ebene einführen
Die psychotherapeutischen Versorgungsbezirke neu ordnen und mehr Kassensitze für die ambulante psychiatrische Versorgung schaffen, gerade in im Moment schlecht versorgten Gebieten, wie dem Ruhrgebiet
Ambulante Einrichtungen der Gemeindepsychiatrie für alle Lebensalter erhalten und ausbauen, möglichst in öffentlicher Trägerschaft
Beratungsangebote für Angehörige psychisch Erkrankter einrichten
Mehr Therapieplätze bereitstellen für eine schnellere Behandlung
Mehr Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen
Mehr Aufklärung der Gesellschaft über psychische Erkrankungen
Ein flächendeckender Ausbau von Traumaambulanzen muss dringend vorangebracht werden.
Kapitel-Übersicht und Inhaltsangaben aller Themen
II.1 Gute Arbeit für ein gutes Leben
II.2 Grundsicherung für Erwerbslose: Menschenwürdiges Leben für alle
II.3 Hartz IV: Armut per Gesetz
II.4 Für ein gutes Leben ohne Rassismus
II.5 Systemwechsel bei Gesundheit und Pflege
II.6 Kinder- und Jugendinteressen in den Fokus
III. Die Wirtschaft ist für die Menschen da – für einen sozialökologischen Systemwechsel
III.1. Sozialökologische Investitionspolitik
III.2. Umbau der Industrie beschleunigen – Staatsfonds jetzt!
III.3. Forschung in NRW – Motor für gesellschaftliche Entwicklung
III.4. Mehr Transparenz und Mitbestimmung gegen die Macht der Konzerne
III.5. Produkte mit Zukunft statt „Ex und Hopp“
III.6. Solidarische Zukunft für Innenstädte und Ortskerne
III.7 Infrastruktur: Rekommunalisierung statt Ausverkauf öffentlichen Eigentums
V. Klima retten, Umwelt schützen
V.1. Schöner klimaneutral wohnen!
V.2. Energie sozialökologisch umbauen
V.3. Klimagerechte Verkehrswende – jetzt!
V.4. Natur und Umwelt gehen vor Profiten
V.5. Landwirtschaft: Gute Arbeit, gute Lebensmittel, Schutz der Natur
V.6. Ökologische Wälder in NRW – gut für das Klima, gut für die Menschen
V.7. Tiere mit Respekt behandeln und artgerecht halten
V.8. Luft, Wasser und Boden schützen
V.9. NRW auf die Erderwärmung vorbereiten
VI. Allen Menschen umfassende Bildung und Ausbildung garantieren
VI.1. Kinder gebührenfrei und besser betreuen
VI.2. Schule ohne Hausaufgaben – Schule ohne Noten
VI.3. Ausbildungsplätze: Mangel beseitigen, Qualität verbessern
VI.4 Hochschule: Mehr Studienplätze und sichere Arbeitsplätze schaffen
VI.5 Weiterbildung: Angebote ausbauen und Personal anständig bezahlen
VIII. Rechtsruck aufhalten und Grundrechte stärken
VIII.1. Zusammen gegen Neofaschismus
VIII.2. Rassismus entgegentreten
VIII.3. Demokratie und Grundrechte verteidigen
VIII.4 Vor Gewalt schützen und Opfern helfen
VIII.5. Der Gerechtigkeit zum Recht verhelfen
VIII.6. Nüchtern aufklären, Cannabis legalisieren
VIII.7. Wahlrecht erweitern, Bürger:innenentscheide vereinfachen