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IX.3. Netzpolitik

Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche. Die Vernetzung bietet zahlreiche Chancen, wie etwa neue Berufe, freie und leichte Verbreitung von Information und Kultur, mehr Beteiligung und Interaktion sowie zahlreiche Erleichterungen unseres Alltags. Doch auch Risiken gibt es: Geheimdienste spähen uns aus, unsere Privatsphäre geht verloren, Berufsfelder entfallen. Wirtschaftsinteressen dominieren, derweil halten Gesetzgebung, Ausbildung und die politische Entwicklung nicht Schritt. Wir sind aufgeru-fen, diese digitale Revolution jetzt im Sinne der Menschen in unserem Land zu gestalten. Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik: Wir wollen ein soziales Internet der Teilhabe und Solidarität.

IX.3.1. Netze in Nutzer:innenhand

Breitband-Internet ist eine materielle Lebensgrundlage. Wer am Internet nicht ausreichend teilhaben kann, sei es aus sozialen oder finanziellen Gründen, sei es, weil keine schnelle Anbindung verfügbar ist, ist benachteiligt. Wir müssen dafür sorgen, dass diese digitale Spaltung die soziale Spaltung nicht verstärkt. Dazu muss diese Form der Internetversorgung zur Grundsicherung eines jeden Menschen gerechnet werden, auf die ein individueller, gesetzlicher Anspruch besteht.

Der Breitbandausbau ist zu unterstützen. Dabei setzt DIE LINKE NRW nicht auf Brückentechnologien wie Vectoring oder ausschließlichen Mobilfunk, sondern auf einen konsequenten Ausbau mit Glasfasertechnologie: Glasfaserleitungen müssen bis in jedes Haus führen. Nur so schaffen wir den Einstieg in das Gigabit-Netz der Zukunft. Dabei kann man nicht alleine auf einen funktionierenden Markt hoffen – ein solcher Ausbau ist öffentliche Aufgabe. Die so entstehenden Netze müssen in gemeinnütziger oder kommunaler Hand verbleiben und dürfen nicht an rein privatwirtschaftliche Unternehmen verschleudert werden. Netze gehören in Nutzer:innenhand, auch bürgerschaftliche Ausbauinitiativen und Genossenschaften sollen gefördert werden.

Freifunk und andere mobile Bürger:innendatennetze wollen wir unterstützen. Neben finanzieller Förderung gehört die Freigabe von geeigneten Dachflächen auf Gebäuden der öffentlichen Hand und deren Internetinfrastruktur dazu. Besonders unterstützen wollen wir die Versorgung von Gebieten mit sozial benachteiligter Bevölkerungsstruktur sowie von Geflüchtetenheimen.

Was tun?

  • Breitbandausbau mit Glasfaser als Landesaufgabe koordinieren

 

  • Rekommunalisierung von Netzen, Förderung genossen- und bürgerschaftlicher Ausbauinitiativen

 

  • Förderung von Freifunk und Bürger:innendatennetzen

 

  • Förderung von offenen W-LANs in öffentlichen Gebäuden

IX.3.2. Digitalisierung souverän gestalten

Die LINKE NRW setzt sich im Kontext der Digitalisierung für regulatorische Maßnahmen ein, welche die digitale Souveränität und die Technologiesouveränität in NRW befördern. Diese Ziele gelten für Bürger:innen wie auch für Politik und Verwaltung in NRW.

Konkret wollen wir das Vergaberecht dahingehend ändern, dass offene Standards bei Neuausschreibungen zur Pflicht werden und dass freie Software im Vergleich zu unfreier (proprietärer) Software bei Vergaben bevorzugt wird.

Digitale Souveränität bezeichnet die Möglichkeit, digitale Dienste und Medien selbstbestimmt nutzen zu können. Hierzu wollen wir einerseits die notwendigen regulatorische Maßnahmen schaffen und andererseits in der Bildungspolitik die individuellen Fähigkeiten der Menschen in NRW (Schul- und Erwachsenenbildung) stärken.

Technologiesouveränität bezeichnet die eigenständige Entwicklungs-, Produktions- und Distributionskompetenz. Hierzu wollen wir einerseits den „Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW)“ stärken und dessen Angebote für Land und Kommunen ausbauen sowie andererseits durch gezielte Wirtschaftsförderung das Angebot und die Kompetenzen der ansässigen IT-Unternehmen erhöhen.

IX.3.3. Nachhaltige Digitalisierung

Wir wollen sozialökologische Kriterien in der IT-Beschaffung des Landes Nordrhein-Westfalen verankern. Dabei spielen vor allem Produktionsbedingungen, Solidität/Lebensdauer, Erweiterbarkeit, Reparaturfreundlichkeit und Recycelbarkeit eine Rolle. Zusätzlich braucht es einen Software-TÜV für nachhaltige Software als Bedingung für die Anschaffung durch die öffentliche Hand.

Wir wollen, dass weniger weggeworfen wird. Auch IT-Technik kann länger leben, wenn man sie reparieren oder nach dem Ende der Nutzung einer neuen Verwendung zuführen kann. Hersteller müssen Ersatzteile und Anleitungen anbieten. Reparatur und Umbau von Hardware sowie Erneuerung von Soft- und Firmware muss erlaubt sein. Hacker- und Makerspaces als Orte nachbarschaftlicher und gemeinnütziger Selbsthilfe wollen wir fördern, insbesondere in sozial benachteiligten Gegenden. Daneben sollen offene, gemeinnützige digitale Plattformen für gegenseitige Hilfe, Warentausch und Bündelung von Transporten und Bestellungen gefördert und zentral beworben werden.

Was tun?

  • Förderung von „Repair-Cafés“ und anderen Initiativen zum nachhaltigen Umgang mit Technik

 

  • IT-Beschaffung nach sozialen und ökologischen Kriterien

 

  • Hacker- und Makerspaces, gemeinnützige Hilfe zur Reparatur und Weiterverwendung fördern

IX.3.4. Für ein Netz ohne massenhafte Überwachung

Das Internet hat enorme politische, soziale und ökonomische Potenziale und muss deshalb gegen staatliche Eingriffe und monopolistische Unternehmensinteressen gleichermaßen verteidigt werden. Über digitale Überwachungsmaßnahmen müssen Betroffene sofort informiert werden, massenhafte Überwachung darf es nicht geben. Wir lehnen sowohl die Vorratsdatenspeicherung als auch den Staatstrojaner ab – beide Instrumente sind mit den Grundrechten auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar.

Die digitalen Arsenale der Geheimdienste müssen abgerüstet werden. Der Ankauf von Sicherheitslücken durch Geheimdienste zum Zwecke des Angriffes auf Menschen, die sich im Internet bewegen, soll verboten werden.

Was tun?

  • Staatstrojaner und Vorratsdatenspeicherung endgültig abschaffen

 

  • Digitale Abrüstung der Geheimdienste

IX.3.5. Privatsphäre und Anonymität

Jeder Mensch hat das Recht, sich anonym im Internet zu bewegen. Verschlüsselungs- und Anonymisierungssoftware darf staatlicherseits weder behindert noch angegriffen werden. Staatliche Hintertüren in solchen Anwendungen gehören verboten. Der Betrieb von Anonymisierungssoftware und –infrastruktur wie z. B. Tor-Nodes darf nicht strafbar sein. Auch mit öffentlichen Stellen muss anonyme, sichere Kommunikation ermöglicht werden. Echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist anzuwenden, wo immer das möglich ist, und muss Standard in allen Kommunikationsformen sein. Das Land soll entsprechende Projekte fördern und unterstützen.

Anwendungen und Geräte sollen ab Werk stets so eingestellt sein, dass der höchstmögliche Schutz der Privatsphäre voreingestellt ist (privacy by default). Dies betrifft auch soziale Netzwerke.

Daten gehören in Nutzer:innenhand: Menschen sollen höchstmögliche Kontrolle über ihre Daten haben und über jeden Verarbeitungsschritt informiert werden. Das schließt auch sogenannte „Big Data“-Datensammlungen und Verwertungen ein.

Genauso lehnen wir die Kameraüberwachung im öffentlichen Raum ab. Wir wollen den Ausbau stoppen und an schon von der Polizei überwachten Stellen den Ausbau zurücknehmen. Auf der anderen Seite wollen wir Hate Speech und koordinierte Angriffe in den sozialen Medien konsequent verfolgen. Dies kann allerdings ohne zusätzliche Eingriffe in die Privatsphäre geschehen.

Was tun?

  • Recht auf Anonymität und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung festschreiben

 

  • Verpflichtung bei Hard- und Software zum höchsten Schutz der Privatsphäre als Standardeinstellung

 

  • Projekte zur Sicherheit der Privatsphäre fördern

IX.3.6. Transparenz, Open Data und Datensouveränität für die öffentliche Daseinsvorsorge

Informationserlangung soll keine Holschuld der Bürger:innen sein, sondern eine Bringschuld des Staates. Wir wollen, dass das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterentwickelt wird. Der Staat soll alle Informationen, Daten und Werke seines staatlichen Handelns ungefragt und selbsttätig in maschinenlesbaren Formaten frei unter freien Lizenzen im Internet auf einer geeigneten Plattform zur Verfügung stellen.

Die Verwaltung und andere öffentliche Einrichtungen hantieren mit sensiblen Daten und müssen ein hohes Maß an Datensouveränität sicherstellen. Wir setzen uns dafür ein, dass die öffentliche Verwaltung schrittweise auf Open-Source-Software umgestellt wird. Denn nur wenn der Quellcode bekannt ist, ist es nicht möglich, im Geheimen Datensammlungen durchzuführen. Genauso wird damit die Unabhängigkeit von großen IT-Konzernen gewährleistet. So kann Software einfacher nach den eigenen Wünschen gestaltet werden, indem Änderungen selbst programmiert oder bei anderen Anbietern eingekauft werden. Wenn die öffentliche Hand Software in Auftrag gibt, muss dies immer nach dem Prinzip „Public Money – Public Code“ erfolgen.

Wenn Daten von Unternehmen erfasst werden (beispielsweise Mobilitäts-, Gesundheits-, Energiedaten) muss sichergestellt werden, dass dort keine Rückschlüsse auf Personen möglich sind. Außerdem müssen diese Daten auch den öffentlichen Trägern der Daseinsvorsorge zur Verfügung gestellt werden. Es sind dabei offene Standards zu verwenden.

Wann immer möglich, sollen Daten unter Beachtung des Datenschutzes als Open Data frei zur Verfügung gestellt werden – wobei auch hier das Prinzip der offenen Standards verwirklicht werden muss und dies in leicht weiterzuverwendender Form.

IX.3.7. Schutz personenbezogener Daten gewährleisten

Damit Clouddienste aus Nicht-EU-Ländern in Deutschland genutzt werden konnten, wurden in der Vergangenheit informelle Absprachen wie das „EU-US Privacy Shield“ und das „Safe Harbor“-Abkommen getroffen. Beide Abkommen wurden inzwischen vom europäischen Gerichtshof für nichtig erklärt.

Wir werden daher alle derzeit durch Politik und Verwaltung in NRW eingesetzten Clouddienste auf deren Konformität zur europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) überprüfen. Den Einsatz von Clouddiensten auf Basis informeller Absprachen werden wir beenden.

IX.3.8. Wirtschaftsförderung

Wir möchten gezielt jene Unternehmen und Projekte aus NRW fördern, welche freie Software und/oder Cloud-Computing – jeweils mit offenen Standards und DSGVO-konform – anbieten. Die Mittel dieser Förderung sollen aus den eingesparten Lizenzkosten unfreier Software erfolgen. Zudem wollen wir diese Unternehmen und Projekte durch Anpassung des Vergaberechts bei Ausschreibungen bevorzugen.

Was tun?

  • Angebote der digitalen Beteiligungsformate zur Meinungsbildung und zum breiten Diskurs über stadt-/landespolitische Themen ausbauen

 

  • Transparenzgesetz beschließen

 

  • Öffentliche Daten teilen

 

  • Freie Alternativen zu nutzer:innendatengetriebenen kommerziellen Projekten fördern

 

  • Plattformen regulieren

 

  • Offene Standards bei Ausschreibungen und Vergaben zur Pflicht machen

 

  • Staatlich finanzierte Software als freie Software lizenzieren

 

  • Freie Software bei Ausschreibungen bevorzugen

 

  • Ansässige Anbieter freier Software durch Wirtschaftsförderung unterstützen

 

  • Umstellung der Verwaltung und öffentlicher Einrichtungen auf Open-Source-Software

 

  • Verankerung des Prinzips „Public Money – Public Code“ in allen digitalen Entwicklungen

 

  • Offene Standards als minimale Bedingung an den Kauf von Software und Dienstleistungen

 

  • Ausbau von Open Data

 

  • Bereitstellung oder Förderung von einheitlichen offenen Plattformen, die öffentlichen Trägern, z. B. Schulen und Forschung, zugutekommen (z. B. Open-Cloud-Dienste wie Sciebo) unter IT-rechtlicher Beratung zur Sicherstellung von Rechtssicherheit

IX.3.9. Zentrale Hilfe bei Cyberangriffen

Die Bedrohung durch Cyberkriminalität nimmt weltweit zu. Die gesamtgesellschaftlichen Risiken sind enorm. Cyberangriffe sind eine Bedrohung der kritischen Infrastruktur (medizinische Versorgung, Energieversorgung, Katastrophenschutz), für die Server der Universitäten sowie für den Schutz unser aller Daten, die auf Servern u. a. in Verwaltungen liegen. Für Unternehmen sind solche Angriffe existenzbedrohend und gefährden somit Arbeitsplätze.

Im konkreten Bedrohungsfall sind eine schnelle Risikobewertung und Soforthilfemaßnahmen besonders wichtig. Deshalb fordert DIE LINKE ein vom Land finanziertes, langfristiges Projekt, das den landesweiten Aufbau regionaler Infrastrukturen zum Ziel hat. Die Einrichtung einer Kontakt- und Beratungsstelle bei Cyberangriffen für die Ersthilfe im Falle eines IT-Sicherheitsvorfalles muss zentral vom Land eingerichtet, organisiert und finanziert werden.

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